
Wie traurig, dass eine Mutter das ästhetische Urteil ihres Kindes missbilligt.

Prado-Museum, Sommer 2009
Kind: Guck mal, Mama, das ist toll!
Mutter: Warum gefällt dir das? Das ist doch furchtbar!
Ich (zu mir selbst): Gut, Junge, GUT!Gern hätte ich ihm gratuliert, aber ich hatte keine Lust, mit der Mutter darüber zu diskutieren, wer in Fragen des Geschmacks das Sagen hat. In diesem den flämischen Malern gewidmeten Saal waren viele Besucher. Die meisten betrachteten den Garten der Lüste von Hieronymus Bosch, nur wir drei standen vor dem Triumph des Todes von Brueghel dem Älteren.
Wieso dies? Bosch (1450-1516) steht in höherem Ansehen als Brueghel (1525-1569). Bosch ist der Frühere, er hat Brueghels Werk beeinflusst, und sein Garten der Lüste ist ein Meisterwerk. All das wusste das Kind sicher nicht, und ich, der ich kein Kunstkritiker bin, war so fasziniert wie er. So sehr, dass ich jedes Mal, wenn ich in das Museum ging, beide Gemälde anschaute. Doch immer stand ich zuerst vor dem von Bruegel (man kann den Namen mit oder ohne h schreiben).
Nun ist Der Triumph des Todes auch kein zweitrangiges Werk. Ein Beweis dafür ist, dass es an jenem Tag die Bewunderung eines Jungen auf sich zog, der von der Existenz des Gemäldes nichts wusste. Ein Philosoph hat einmal geäußert: „Schön ist, was interesseloses Wohlgefallen findet“ – das also, was einem gefällt, ohne dass es vorher eine entsprechende Erwartung gab. Was mich betrifft, ich hatte sie, aber ich möchte nicht vorgreifen. Worin besteht die Schönheit dieses Bildes?
Auf dem Schildchen im Prado steht: „Moralisches Werk, das den Triumph des Todes über die weltlichen Dinge zeigt. Er wird durch ein großes Heer von Skeletten symbolisiert, das die Erde verwüstet. Im Hintergrund erscheint eine öde Landschaft, wo noch Szenen der Verwüstung zu beobachten sind. Im Vordergrund zerstört der Tod, auf einem Pferd von rötlicher Farbe seine Heere anführend, die Welt der Lebenden, die in einen riesigen Sarg geleitet werden, ohne Hoffnung auf Errettung. In dieser Komposition sind alle sozialen Stände vertreten, ohne dass Macht oder Demut sie retten könnte. Einige versuchen, gegen ihr schreckliches Los anzukämpfen, andere ergeben sich in ihr Schicksal. Nur ein Liebespaar im unteren rechten Teil des Bildes steht der Zukunft, die auch sie erleiden müssen, unbeteiligt gegenüber. Das Gemälde reproduziert das in der Literatur des Mittelalters häufig anzutreffende Motiv des Totentanzes, welches auch von den nordeuropäischen Künstlern oft verwendet wurde. Brueghel gab dem ganzen Werk einen rötlich-braunen Ton, der dazu beiträgt, dass die ganze Szene etwas Infernalisches ausstrahlt, was zu dem dargestellten Thema passt.“ Eine Seite mit Zoom zu allen Details kann hier geöffnet werden.
Was mag dem Kind gefallen haben? Was meinst du?
A
B
Ich vermute, dass der Junge von dem, was in Spalte A angeführt wurde, kaum etwas bemerkt hat, während ihm von dem, was unter B steht, alles gefiel. Ich stelle mir vor, dass der Junge die Zeichnungen und die Farben wahrnahm und sofort die Elemente erfasst hat. Die Ideen des Malers verzauberten ihn wie ein spannendes Spiel. Hätte er den Gesichtsausdruck des Jungen sehen können wie ich ihn sah, Bruegel wäre fasziniert gewesen.

In seiner Monografie Pieter Bruegel weist Larry Silver darauf hin, dass das einzige explizit auf das Erbe von Bosch verweisende Element in Triumph des Todes sich in der Bildmitte befindet: Es ist eine Konstruktion, die fast unbemerkt bleibt und die Eingangstür zur Hölle selbst zu sein scheint. Von den Flammen, die aus dem Zentrum hervorquellen, heben sich dunkle Dämonen mit Fledermausflügeln ab, Insekten, Raben und Kröten.

Dieser Teil des Bildes ist den Monstern sehr ähnlich, die sich vom Feuer in Mad Meg - wo der Einfluss Boschs größer ist – abheben, aber er lässt auch die Unterschiede in Humor und Ton der beiden Gemälde hervortreten.
Vor der Tür zur Hölle erscheint der Tod, eine Sense haltend, auf dem Rücken eines „blassen“ Pferdes (die spanischen Übersetzungen der Apokalypse 6:8 benutzen das Wort „amarillento“ [gelblich], die deutschen „fahl“). Silver erläutert jedoch, dass es sich hier nicht um eine Apokalypse handelt, die den Moment darstellt, in dem die Toten nach der Wiederkunft Christi gemäß der Hoffnung auf Erlösung auferstehen und Gericht über sie gehalten wird, obwohl im Hintergrund einige Skelette aus den Gräbern steigen.

Die Szene stellt vielmehr den tödlichen Kampf zwischen Lebenden und Toten in einer verwüsteten Landschaft dar. Hier schließt Bruegel an das immense bildliche Erbe an, das im Hoch- und Spätmittelalter mit dem Tod verbunden ist. Dazu gehören Darstellungen des Totentanzes auf Fried- und Kirchhöfen in ganz Europa, Bilder, die am Beginn einer neuen Epoche geschaffen wurden, in der das Sektenwesen blühte; eine Ära, die später in die Religionskriege führte.
Silver hebt die Kreativität hervor, mit der Bruegel Adaptionen von einigen Holzschnitten Hans Holbeins des Jüngeren schafft. In einer dieser Neugestaltungen zwingt zum Beispiel ein Skelett einen König, eine Sanduhr zu betrachten, die anzeigt, dass seine Zeit zu Ende geht.

Holbein zeigt ein Skelett, das auf den Rücken eines Königs geklettert ist, und ein anderes, das, als Narr verkleidet, die Königin und ihre Hofdamen mit einer Sanduhr überfällt.


All die kleinen Geschichten zu erzählen, die sich an eine Betrachtung dieses Gemäldes knüpfen ließen, würde zu weit führen, und es ist auch gar nicht möglich, alle Vorläufer anzuführen. Natürlich will ich damit nicht behaupten, dass Bruegels Arbeit eine bloße Kopie der von Holbein wäre. Das ist sie nicht. Dasselbe Verfahren ist aus der Literatur bekannt: Ein neues Buch kann die Variation eines alten sein. In unseren Beispielen ist es die Malerei, welche sich der Tradition bedient und sie neu bearbeitet.
Ich möchte noch einen Fall schildern: In diesem wie auch anderen vertritt Silver die Auffassung, dass Bruegel Skelette ausstellt, welche als Spiegel ihrer Opfer auftreten.


Versteht man nun, wie das alles einem Kind gefallen kann? Wir wollen einmal sehen.
Bei Holbein ergreift das Skelett den Hut eines Kardinals. Bei Bruegel geht das Skelett noch weiter: Es trägt den Hut des Kardinals, während es den eigenen Vorgänger in die Erde legt. Es ist, als hielte der Tod alle zum Narren.
Ist das nicht genial? Mir scheint das ungeheuer lustig. Die Skelette greifen uns an!
Ich wage nun nicht zu behaupten, man könne in Bruegel einen Vorläufer der spekulativen Fiktion und des schwarzen Humors sehen. Aber das ist auch nicht nötig. Zum Besten an der Kunst gehört ja, dass man sie frei interpretieren kann.
Über die zeitgenössische Rezeption von Der Triumph des Todes weiß ich nichts. Wer etwas dazu sagen kann und Lust hat, es zu erzählen, ist eingeladen, es zu tun. Und wenn ihm noch etwas dazu einfällt, ebenso. Zum Abschluss stelle ich mir die Frage, ob ein König oder ein Kardinal, der das Bild damals gesehen hat, Angst oder vielmehr das Gefühl hatte, dass ein Künstler ihn zum Narren hielt. Humor kann revolutionärer sein als jeder andere Diskurs.
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